Italien 1980 – Ein blutiger Sommer

Im Sommer 1980 erreichten Italiens bleierne Jahre mit dem Bombenanschlag auf den Bahnhof von Bologna ihren blutigen Höhepunkt.

Drei Mitglieder der faschistischen Terrororganisation NAR (Valerio Fioravanti, Francesca Mambro und Luigi Ciavardini) wurden zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt.

„Angesichts der Verwicklung des militärischen Geheimdienstes SISMI und der Geheimloge Propaganda Due sowie des rechtsextremistischen Täterkreises gilt es als gesichert, dass der Anschlag im Rahmen der sogenannten Strategie der Spannung ausgeführt wurde und eine Verbindung zu der Geheimorganisation Gladio bestand“

(Deutscher Wikipedia-Beitrag)

Noch expliziter will es der Deutschlandfunk wissen:

„Trotz zähen Widerstands von Politikern und Militärs sowie massiver Ablenkungsmanöver seitens der Geheimdienste gelang es den Untersuchungsrichtern in Bologna, sechseinhalb Jahre später, am 19.Januar 1987, endlich den Prozess gegen 20 Angeklagte zu eröffnen. Als Bombenleger werden Francesca Mambro und Giusva Fioravanti zu lebenslanger Haft verurteilt – aber erst am 23. November 1995 und nach insgesamt vier Gerichts-Instanzen. Über fünfzehn Jahre hatten seit dem Mordanschlag ins Land gehen müssen.

Den Drahtzieher Licio Gelli bekommt die Justiz nicht zu fassen. Er wird zwar wegen subversiver Tätigkeit zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, flieht aber rechtzeitig in die Schweiz. Von dort wird er geraume Zeit später zwar ausgeliefert, aber nur unter der Bedingung, dass er nicht mehr wegen seiner Mitschuld am Bombenattentat von Bologna belangt wird. Für die Schweizer Behörden hatte es sich um einen politischen Prozess gehandelt und eidgenössisches Gesetz verbietet in solchen Fällen eine Abschiebung. Ob da allerdings nur nach Recht und Gesetz geurteilt wurde, darf man zumindest bezweifeln. Gelli hat nach der Aufsehen erregenden Pleite der Ambrosiano Bank Anfang der 80er Jahre schätzungsweise 100 Mio. Dollar auf Schweizer Bankkonten geschafft, mit denen er sich gewisse Privilegien gesichert haben könnte.“

Wer war Licio Gelli? Wer waren die NAR?

Der Faschist Licio Gelli hatte die Freimaurer-Loge Propaganda Due im Lauf der 70er jahre gegen den Widerstand der italienischen Großloge Grande Oriente d’Italia  unter seine Kontrolle gebracht.

Ähnlich wie Udo Proksch hatte es Licio Gelli geschafft, einflußreiche Politiker, Industrielle, Kriminelle und Militärs für seine Loge zu rekrutieren.

Anfang der 80er Jahre hatte die Loge etliche Minister in der Regierung sitzen, auch der Medien-Tycoon Berlusconi war Mitglied der P2 geworden.

Als die Machenschaften der P2 Loge bezüglich des Banco Ambrosiano aufflogen, kam es 1982 zu einem gewaltigen Skandal, der die italienische Republik schwer erschütterte.

Licio Gelli war zweifellos ein krimineller Typ und verfügte außerdem über eine äußerst fragwürdige politische Gesinnung.

Auch bei den verurteilten „schwarzen Terroristen“ der NAR handelte es sich um gewissenlose, mehrfache Mörder.

Nach der deutschen Lese-Art wurden nach dem Anschlag, bei dem 85 Menschen ihr Leben verloren hatten, zunächst die Roten Brigaden von Premier-Minister Cossiga verdächtigt:

„Die italienische Regierung unter Ministerpräsident Francesco Cossiga und die Polizei gingen zunächst von einem Unfall aus und machten später die militanten linksradikalen Rote Brigaden für den Bombenanschlag verantwortlich. Es wurde mehrmals versucht, die Aufklärung zu behindern und die Umstände des Attentats zu verschleiern.“

(Deutscher Wikipedia-Beitrag)

Im italienischen Wikipedia-Beitrag, der zumindest den festen historischen Fakten naturgemäß etwas näher steht, ist nichts über eine solche Verdächtigung zu lesen.

Das liegt daran, dass es eine offizielle Verdächtigung der Brigate Rosse niemals gegeben hatte.

Stattdessen hatte Ministerpräsident Cossiga bereits am 4. August 1980 (2 Tage nach dem Attentat) im Parlament von einer „eindeutig faschistischen Matrix“ der Tat gesprochen hatte.

Wenn die allmächtige P2 Loge tatsächlich geplant haben sollte, den Anschlag für einen Staatsstreich zu nutzen, so hatten die Logenbrüder den zweiten, entscheidenden Teil ihres Plans – trotz ihrer zahlreichen Minister und Militärs – nicht gerade generalstabsmäßig vorbereitet: Angesichts der massiven Aktivitäten der Brigate Rosse wäre es eine leichte Übung gewesen, ein paar „schuldige“ (vielleicht dann bei ihrer Verhaftung erschossene) rote Terroristen zu präsentieren.

Aber Ähnliches kennt man auch von Bush und CIA, die laut der gängigen Verschwörungstheorien zwar das größte und perfekteste Verbrechen unter totaler Geheimhaltung zu verüben vermochten, nachher aber zu einfältig waren, ein paar Massenvernichtungswaffen im Irak „zu finden“.

Bereits am 26. August 1980 ließ die Staatsanwaltschaft mehrere Mitglieder der NAR verhaften, die jedoch schon bald aus Mangel an Beweisen allesamt wieder enthaftet werden mussten.

Doch dank einer Zeugenaussage eines Mafioso, der mit mehreren jungen NAR-Terroristen in Kontakt gestanden hatte, konnte die Justiz von Bologna, ihren Prozeß gegen die NAR und ihre Hintermänner doch noch eröffnen:

Massimo Sparti sagte im Prozeß aus, dass Valerio Fioravanti einige Tage nach dem Attentat bei ihm aufgetaucht sei, um ein gefälschtes Dokument für seine Gefährtin Francesca Mambro zu besorgen. Dabei habe er sich für das Attentat in Bologna gerühmt. Fioravanti selbst habe allerdings kein gefälschtes Dokument benötigt, da er angeblich laut eigenen Angaben (sehr unauffällig für einen Attentäter) als „Tiroler“ verkleidet gewesen sei.

Massimo Sparti, der eine langjährige Haftstrafe abzusitzen gehabt hätte, wurde kurze Zeit nach seiner Aussage auf Grund von Haftunfähigkeit entlassen. Der diagnostizierte Pankreas-Tumor hinderte ihn allerdings nicht, 20 Jahre weiterzuleben.

Die Aussagen seiner Ehefrau und seines Dienstmädchens, die vor Gericht bestritten hatten, dass ein Gespräch mit Fioravanti zum fraglichen Zeitpunkt stattgefunden habe, wurden vom Gericht als irrelevant eingestuft. Spartis Sohn empörte sich später in einer TV Sendung, dass man seinem Vater, der ein Krimineller und Lügner gewesen war, geglaubt hatte, seiner Mutter, einer unbescholtenen Frau, hingegen nicht.

 Valerio Fioravanti und Francesca Mambro, die bereits etliche andere Morde im Rahmen der Gerichtsverhandlung gestanden hatten (während sie die Verantwortung für Bologna jedoch vehement bestritten hatten) konnten dank Spartis Aussage bequem verurteilt werden.

Liest man heute über den Prozeß, kann man erfahren, dass die Ermittlungen der Staatanwaltschaft durch eine Vielzahl von „Depistaggi“ (falschen Fährten) behindert worden waren.

Für die Justiz im roten Bologna stand von Anfang an fest, dass der Anschlag faschistisch gewesen war. Folglich wurden Verweise auf andere mögliche Tathergänge als „Ermittlungsbehinderungen“ wahrgenommen.

Für den „schlimmsten“ der zahlreichen „Depistaggi“ konnten sogar jene verurteilt werden, welche die Justiz von Bologna schon ursprünglich für die wahren Drahtzieher der Attentate gehalten hatte (wenn auch nur für die „Behinderung von Ermittlungen“) 

Geheimdienst-Mitarbeiter fanden im Jänner 1981 in einem Zugabteil Waffen, 2 Pässe internationaler Terroristen und denselben Sprengstoff, der schon beim Anschlag von Bologna verwendet worden war.

Im Prozeß von 1985 wurden die Geheimdienst-Generäle Musumeci und Belmonte (beide Mitglieder der P2 Loge) für diesen „Fund“, der sich als „falsche Fährte“ herausstellte, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Wieder war der Justiz ein unerwarteter unerwarteter Belastungszeuge, der Geheimdienstoffizier Francesco Sanapo, zur Hilfe gekommen.

Während der Belastungszeuge behauptete, die beiden P2 Mitglieder hätten, die Beweismittel im Zug verstecken lassen, gaben die Belasteten an, über die im Zug gefundenen Beweismittel erst vom Belastungszeugen erfahren zu haben.

Interessanterweise hätten die Beweismittel im Fall ihrer Echtheit der roten Justiz von Bologna noch viel wertvollere Dienste leisten können:

Die beigelegten Pässe gehörten nicht etwa Linksradikalen, wie man es sich für den schlimmsten aller „Depistaggi“ eigentlich erwarten sollte, sondern zwei rechtsradikalen Terroristen aus Frankreich und Deutschland.

Die Rechtsextremisten hätten für ihren Auftraggeber, den italienischen Faschistenführer Delle Chiaie einen Anschlag verüben sollen – derselbe Delle Chiaie, der nach Ansicht der Staatsanwaltschaft – im Auftrag von Licio Gelli – die NAR Terroristen für den Anschlag von Bologna engagiert hatte.

Die Beweismittel hätten somit genau die ursprüngliche These der Staatsanwaltschaft von Bologna unterstützt.

Bereits 1982 hatte die Justiz einen Kronzeugen gefunden, der behauptet hatte, Delle Chiaie sei von Licio Gelli beuaftragt worden, das Attentat von Bologna zu planen.

Und somit hätte die P2 genau die Beweise dafür beschafft, um sich selbst zu belasten:

Der berühmte „Doppel-Bluff“?

Dieser 1983 publizierte Spiegel-Artikel verdeutlicht sehr schön, wie gut das gefundene Beweismittel zur P2/Delle Chiaie-Theorie gepasst hätte:

„Nur einer fehlt noch, der Anführer: Stefano Delle Chiaie, seit den 60er Jahren eine Hauptfigur des rechten Terrors in Europa und Lateinamerika, ist frei – wahrscheinlich zu Gast bei einem argentinischen Obristen.

Diese fünf Männer beschuldigt die italienische Staatsanwaltschaft, am 2. S.124 August 1980 das blutigste Attentat seit Kriegsende verübt zu haben: 85 Menschen kamen ums Leben, als eine Bombe den Bahnhof von Bologna in die Luft sprengte. Danet soll den Sprengkörper hergestellt, Fiebelkorn ihn gelegt haben. Die „Strategie der Spannung“ – durch offenbar sinnlose Mordtaten wie in Bologna den demokratischen Staat destabilisieren, um ihn indirekt in die gewünschte Richtung zu lenken – ist eine altbewährte Taktik der europäischen Neofaschisten.

Scheinbar wahl- und sinnlos schlägt die „Schwarze Internationale“ zu, sei es gegen die Synagoge an der Pariser Rue Copernic, sei es auf dem Münchner Oktoberfest, sei es, immer wieder, in Italien. Und was die Bürger verunsichern soll, ist meist das Werk derselben Personen, Organisationen, Ideologen.

Stefano Delle Chiaie, 40, war schon dabei, als am 12. Dezember 1969 eine Bombe an der Piazza Fontana in Mailand 16 Personen tötete. Er arbeitete in Spanien mit Rechtsextremisten zusammen, denen das Franco-Regime zu lasch wurde, gründete in Italien die neofaschistische „Avanguardia Nazionale“, und bereitete mit Prinz Junio Valerio Borghese einen Rechtsputsch in Rom vor.

Der italienische Geheimdienst gehörte zu Delle Chiaies Förderern, wie auch die Militärdiktatoren in Chile, Bolivien oder Argentinien, die ihm und seinen Kumpanen bereitwillig Unterschlupf, Geld und Reisepässe zur Verfügung stellten.

Doch wer die Hintermänner der faschistischen Internationale sind, wer die Aufträge ausgibt und finanziert, blieb meist im dunkeln – keines der großen Attentate von rechts in Italien ist in den letzten zwölf Jahren aufgeklärt worden.

Nur im Falle Bologna hofft die italienische Justiz nun auf einen Durchbruch. Denn ein in der Schweiz wegen Betruges inhaftierter Geheimagent, der 36jährige Florentiner Elio Ciolini, trat im vergangenen September als Kronzeuge auf.

Ob er tatsächlich enthüllt oder desinformiert, um die wirklichen Tatbestände zu verschleiern, ist noch ungewiß. Seine Geschichte, die von Monte Carlo über Bolivien nach Bologna führt, besticht aber durch ihre Kohärenz.

Laut Ciolini gab der Großmeister der italienischen Geheimloge Propaganda 2 (P 2), Licio Gelli, den Auftrag für das Attentat von Bologna. Der zwielichtige Finanzier, heute in Schweizer Untersuchungshaft, hatte schon lange davon geschwärmt, in Italien „das Steuer herumzuwerfen“ und „mit allen Mitteln“ eine starke Präsidialrepublik herbeizuführen.“

Der Belastungszeuge Elio Ciolini erwies sich jedoch als vollkommen unglaubwürdig – Delle Chiaie musste freigesprochen werden (im deutschen Wikipedia Beitrag wird der abgeblich „enge Freund“ von Licio Gelli freilich wie im Spiegel-Artikel nach wie vor „schuldig“ gesprochen.

Und so konnte eine direkte Beteiligung der P2 Loge am schwarzen Terror nicht einmal von der roten Rustiz von Bologna nachgewiesen werden.

Dank der Aussagen des Belastungszeugen Francesco Sanapo, konnte man die P2 Logenbrüder aber immerhin für „Behinderung der Ermittlungen“ zu langjährigen Haftstrafen verurteilen.

Das Problem bei der gerichtlichen Aufarbeitung waren nicht die vielen „Behinderungen der Ermittlungen“, sondern dass es überhaupt keine „offenen Ermittlungen“ gegeben hatte.

Statt dem üblichen „es wird in alle Richtungen ermittelt“, das man sonst nach derartigen Ereignissen von den Behörden zu hören bekommt, wurde das Attentat bereits nach 2 Tagen von Ministerpräsident Cossiga im italienischen Parlament als „faschistisch“ qualifiziert.

Cossiga hält das Attentat heute für einen „Unfall der Palästineneser“ und behauptet, durch „falsche Informationen der Geheimdienste“ zu seiner „voreiligen falschen Annahme“ gedrängt worden zu sein.

Wenn man bedenkt, dass Franceso Cossiga von 1976 bis 1979 Innenminister und somit Chef der Inlandsgeheimdienste gewesen war, und bei der großen Umstrukturierung von 1978 mit seinen Leuten besetzt hatte, ist das Bild des „von den Geheimdiensten getäuschten“ nur sehr schwer aufrechtzuerhalten.

Ein Massaker gegen das eigene Volk wäre weder bei der italienischen „Rechten“ – noch bei der italienischen „Linken“ populär gewesen. Weder für rote – noch für schwarze Terroristen hätte daher ein solches Attentat einen Sinn gemacht.

Genausowenig hätte für die Al Qaida ein Anschlag auf die Moschee von Mekka einen Sinn gemacht:

Statt als Held gefeiert zu werden, wäre Osama Bin Laden der größte Feind des Islam – und nicht wie jetzt der islamische Held, der den großen Satan gedemütigt hat.

So wie niemand an die Urheberschaft der Kommunisten geglaubt hatte, war auch die faschistische Urheberschaft nur als Auftragstat finsterer Mächte, die auf Grund ihrer geheimen „Strategie der Spannung“ die Tat ausgeheckt hatten, plausibel zu erklären.

Woher kam die Theorie der „Strategie der Spannung“?

Am 12. Dezember 1969 wurde in Mailand ein Terroranschlag auf die Banca Nazionale dell’Agricoltura ausgeübt. Finanzinstitute gehörten zwar eindeutig zum Feindbild der antikapitalistischen roten Terroristen. Durch die (wohl nicht beabsichtigte) hohe Opferzahl wurde das Attentat nicht als Anschlag gegen den Finanzkapitalismus wahrgenommen, sondern als Attentat auf das Volk.

Bezeichnenderweise wird das Attentat heute „Massaker der Piazza Fontana“ und nicht „Anschlag gegen die Banca Nazionale“ genannt.

Für einen Anschlag gegen die Piazza bzw. das Volk wollten die roten Terroristen natürlich nicht verantwortlich sein.

Italiens linke Medien, die mit den tatkräftigen Revolutionären stets sympathisiert hatten, exkulpierten die Bewegung und ihre Mörder, indem sie die Tat einer vom Staat verfolgten „Strategie der Spannung“ zuschrieben. (die allerdings trotz langjähriger Prozeße niemals nachgewiesen werden konnte)

So konnte weiter mit den Aktivisten sympathisiert werden, unschöne Gewaltexzesse wurden einfach als untergeschobene Aktionen der Gegenseite qualifiziert.

Ähnlich verurteilen die Unterstützer des irakischen „Widerstands“ die irakischen Terrorattentate als Inszenierungen der US Imperialisten, die den Terror bräuchten, um den Irak weiter besetzt halten zu können, feiern jedoch gleichzeitig dieselben Taten  als Erfolge des „Widerstands“ gegen die mörderische Besatzung.

Die Tat von Bologna hatte weder eine schwarze Matrix (Bombenanschläge auf Kommunistentreffen, Morde an Richtern, Polizisten, Kommunisten), noch eine rote Matrix (Bombenanschläge auf Banken, Militärstützpunkte, Entführungen, Morde an Richtern, Polizisten, Faschisten)

Es handelte es sich auch um keinen „Unfall der Palästinenser“, wie Cossiga heute behauptet.

Und schon gar nicht war es „ein versuchter Staatsstreich“ einer zu einem Mafia-Treff pervertierten „Freimaurer-Loge“.

Hätte man offen in alle Richtungen ermittelt, wäre man vielleicht auf einen Mann gestoßen, der vor Osama Bin Laden als der größte Förderer des internationalen Terrorismus gegolten hatte.

Das für Gaddafi typische Motiv wäre wohl auch vorhanden gewesen:

 Am 18. Juli 1980 (15 Tage vor dem Attentat von Bologna) war in Kalabrien eine abgestürzte libysche MiG23 gefunden worden.

Gaddafi durfte auf Grund seiner besonderen Beziehungen zu Italien (er besaß immerhin 13 % der FIAT-Aktien und der staatliche Energiekonzern ENI war als einziger ausländischer Erdölkonzern nicht verstaatlicht worden) den italienischen Luftraum regelmäßig nutzen, um seine MiGs in der sowjetischen Militärbasis bei Banja Luka warten zu lassen.

Welche Gefühle überkamen den Wüstensohn, als sein Lieblingsspielzeug plötzlich über dem scheinbar sicheren italienischen Luftraum verschwunden war?

Bombenattentate aus plumpen Rachegefühlen waren ein Markenzeichen des islamisch-sozialistischen Revolutionärs.

Zur Zeit des Attentats hielt sich Thomas Kram, der Sprengstoffexperte der Revolutionären Zellen als „deutscher Tourist“ in Bologna auf. Die Revolutionären Zellen hatten schon bei der OPEC-Geiselnahme für Carlos gearbeitet, dessen Hauptkunde wiederum der libysche Revolutionsführer war.

Aber Gaddafi hatte sich in Cossigas Italien getäuscht. Cossiga hatte offensichtlich nie vor, seine unabhängige Politik, die Italien eine ökonomisch lukrative Sonderstellung zum (mit den offiziellen Nato-Partnern) verfeindeten Gaddafi-Regime bescherte, durch einen offenen Konflikt zu gefährden.

Cossiga bezeichnete Gaddafi 1999 als einen „langjährigen Freund“ – und Gaddafi verkündete bei seinem letzten Besuch in Italien dasselbe über Cossiga.

Einen Monat vor dem Attentat in Bologna war ein italienisches Passagier-Flugzeug nahe der Mittelmeerinsel Ustica abgestürzt.

Auch hier wurden zunächst faschistische Terroristen verdächtigt. Am Tag nach dem Absturz erfolgte ein anonymer Anruf beim Corriere della Sera, in dem sich die NAR zu einem Bombenanschlag auf das Flugzeug bekannten.

Und auch hier wurde von der italienischen Polit-Justiz ein Angriff finsterer NATO-Mächte auf Italien konstruiert – Gerichtliche Gutachten hatten alle möglichen abenteuerlichen Ursachen für den Absturz festgestellt (erst die Bombe, dann einen Unfall mit einem Nato-Flieger, dann eine irrtümlich abgeschossene Rakete), trotzdem endete das Verfahren ohne konkrete Ergebnisse und Verurteilungen.

Die  „unglaublichste Theorie“ stammt auch hier von Cossiga:

Nun deutet jedoch alles auf die bislang unglaublichste Theorie hin. Demnach geriet die DC-9 in einen westlichen Luftangriff auf das baugleiche Flugzeug des libyschen Staatschefs Muammar el Gaddafi. Der Revolutionsführer befand sich auf dem Weg zu einem Staatsbesuch nach Polen und sollte über dem tyrrhenischen Meer liquidiert werden. Das Attentat sollte in Tripolis einen Putsch auslösen. „Die Franzosen wussten, dass ein Flugzeug mit Gaddafi dort unterwegs war“, bestätigte der damalige italienische Staatschef Francesco Cossiga vor acht Wochen der Zeitung „La Repubblica“.

Zum Schutz Gaddafis beorderte Libyen einige MiG-23-Maschinen in den italienischen Luftraum. Beim folgenden Luftkampf sei dann versehentlich der zwei Stunden verspätet gestartete Flug 870 abgeschossen worden, da die Piloten annahmen, es handle sich um Gaddafis Flugzeug. Gaddafi befand sich jedoch schon außer Gefahr: Über einen Kontaktmann in Rom erfuhr Tripolis von den Plänen und leitete die Maschine nach Malta um. „Die Wahrheit ist, dass der Diktator sich retten konnte, weil der italienische Militärgeheimdienst Sismi ihn gewarnt hatte“, verriet Cossiga.

(Focus -27.08.2008)

Und wieder war es laut Cossiga der italienische Geheimdienst, der ganz ohne sein Wissen, gehandelt hatte:

Die Franzosen wollten ein Attentat auf Gaddafi verüben. Doch Gaddafi konnte – wie Cossiga später erfuhr – dank einer Warnung durch die italienischen Geheimdienste gerettet werden. Die Franzosen hielten das italienische Passagierflugzeug für Gaddafis Flieger – und schossen es versehentlich ab.

Der italienische Geheimdienst-Chef verständigte also nicht den italienischen Staats-Chef, der ihn zuvor persönlich als Geheimdienst-Chef eingesetzt hatte, sondern direkt den Libyschen Revolutionsführer, der so angeblich dank der Warnung seiner „italienischen Freunde“ gerettet werden konnte.

Licio Gelli wurde wegen „Depistaggio“, dem „Legen falscher Fährten“ verurteilt.

Hier noch einmal eine konzentrierte Auswahl von „Fährten“, die Francesco Cossiga im Lauf der Zeit gelegt hat.

„Bologna war ein faschistisches Attentat“ (1991 – La Republica)

„Bologna war kein faschistisches Attentat – die Geheimdienste hatten mich falsch informiert“ (1991 – La Republica)

„Ich war der einzige, der die italienischen Geheimdienste wirklich zu nutzen wusste“ (2008 – Yediot Aharonot )

„Gaddafi ist unser Freund – schützen wir ihn vor Extremisten“ (2006 – Corriere della Sera)

„9/11 wurde von CIA und Mossad ausgeführt“ (2007 – Corriere della Sera)

„Bologna war ein Unfall des „Palästinensischen Widerstands (2008 – Corriere della Sera)

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22 Antworten to “Italien 1980 – Ein blutiger Sommer”

  1. Anonymous Says:

    […] bezeichnete sich als "Freund Gaddafis" und dasselbe behauptete Gaddafi von Cossiga: Der faschistische “Freimauerer” und der alte “Gaddafi Freund” Aron Sperber&#… Antwort Neuer […]

  2. Anonymous Says:

    […] […]

  3. aron2201sperber Says:

    in Italien unterstützten weite Teile der Intellektuellen die linken Revoluzzer

    dieses Lied über einen „Bombenleger“ meines Lieblingssänger, Fabrizio de Andre, spiegelt die Stimmung unter „politisch bewußten“ Menschen jener Zeit wieder:

    Il Bombarolo – Fabrizio De André (1968)

    „io vengo a restituirti
    un po‘ del tuo terrore
    del tuo disordine
    del tuo rumore.

    Così pensava forte
    un trentenne disperato
    se non del tutto giusto
    quasi niente sbagliato,
    cercando il luogo idoneo
    adatto al suo tritolo“

    „ich komme,
    um dir ein wenig, von deinem Terror zurückzugeben
    von deiner Unordnung
    von deinem Lärm.

    so dachte
    ein verzweifelter 30jähriger
    wenn auch nicht ganz zu Recht
    fast gar nicht falsch
    während er den geeigneten Ort
    für seinen Sprengstoff suchte“

    Bomben-Attentate waren für Fabrizio De Andre, den ich extrem schätze, der aber natürlich den „politisierten“ Geist seiner Zeit widerspiegelte, zwar „nicht Recht“ aber auch „fast gar nicht falsch“

    das Lied wurde 1968 geschrieben

    als der Terror, den man zuvor zumindest gerechtfertigt hatte, später ausartete, schob man das ganze allein einer „staatlich gesteuerten Strategie der Spannung“ zu, statt sich mit der eigenen Verantwortung auseinanderzusetzen

  4. aron2201sperber Says:

    interessantes Gespräch mit dem „linken Journalisten“ Andrea Colombo, Autor von „Storia nera“:

  5. aron2201sperber Says:

    Cossiga behauptet, dass Gaddafi 1980 durch eine Warnung der italienischen Geheimdienste gerettet worden sei:

    http://www.focus.de/panorama/welt/tid-11334/der-fall-ustica-westliches-attentat-auf-gaddafi_aid_321764.html

    in diesem Spiegel-Interview, welches nur 2 Wochen nach dem angeblich versuchten Attentat der Franzosen auf sein Flugzeug stattfand, ist von einem Attentat überhaupt keine Rede, obwohl Gaddafi sonst nie die Gelegenheit ausließ, seinen Feinden Mordpläne zu unterstellen:

    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14315712.html

    Cossigas Bekenntnisse sind jedoch nicht völlig aus der Luft gegriffen, denn die Italiener hatten Gaddafi tatsächlich vor einem Angriff gewarnt – allerdings nicht 1980, sondern 1986, als Reagan den Terrorist Gaddafi endgültig erledigen wollte:

    http://www.foxnews.com/story/0,2933,445450,00.html

    war es die „Angst um den Frieden“ oder „moralische Bedenken“, welche Giulio Andreotti, dem mafiösen Christdemokraten-Minister und Parteifreund Cossigas dazu bewogen, Gaddafi zu beschützen, wie es dieser unsagbare Spiegel-Essay suggeriert?

    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13518449.html

    oder waren es die nach dem Scheitern des Petromin-Deals mit den Saudis lebensnotwendigen italienischen Geschäfte mit Gaddafi, die man schützen wollte?

    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-39685933.html

    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13518459.html

    http://de.wikipedia.org/wiki/Giulio_Andreotti

    http://de.wikipedia.org/wiki/Bettino_Craxi

    http://en.wikipedia.org/wiki/Tangentopoli

    Italiens Parteien wurden in den 80er Jahren durch „Tangenten“ finanziert – die Mutter aller Tangenten kam vom „staatlichen“ Energiekonzern ENI, der als einziger von Gaddafi nicht „verstaatlichter“ europäischer Erdölkonzern Lybiens schwarzes Gold zu günstigen Konditionen beziehen durfte – die tatsächlich bezahlten Preise dürften so niedrig gewesen sein, dass man mit der Differenz zum offziellen Preis das korrupte Parteiensystem der Cossigas, Androttis und Craxis finanzieren konnte.

  6. aron2201sperber Says:

    zur Legende der Verdächtigung der Roten Brigaden:

    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14320859.html

    dieser Beitrag erschien im Spiegel vom 11.08.1980 – also bereits 9 Tage nach dem Attentat.

    Obwohl der Spiegel übrzeugt ist, dass sich das Attentat lückenlos in die „Srategie der Spannung“ einordnen lasse, stellt er doch fest, dass das Attentat mehr der PCI und nicht den rechten Verschwörern genutzt hatte.

  7. Ölige Männerfreundschaften « Aron Sperber's Weblog Says:

    […] By aron2201sperber Berlusconi erneuerte die historischen italienischen Geschäftsbeziehungen mit Gaddafis […]

  8. aron2201sperber Says:

    Mehr aus dem Spiegel-Archiv:

    Gaddafis Agenten verfolgten zu jener Zeit Exil-Libyer in Italien:

    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14325053.html

    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14325093.html

    mit Malta hatte er sich just zu dieser Zeit wegen Öl gestritten und die Malteser hatten danach den italienischen Schutz gesucht:

    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14332299.html

    und woher Gaddafi Sprengstoff bezogen hatte:

    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14341441.html

    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13687488.html

  9. Astuga Says:

    Sollte man bei den jeweils relevanten Wikipedia-Artikeln zumindest auf den Diskussionsseiten verlinken.

  10. aron2201sperber Says:

    der für Depistaggio zu 12 jahren Haft verurteilte „rechte Arm“ Licio Gellis:

    http://www.repubblica.it/2009/01/sezioni/politica/pazienza-gelli/pazienza-gelli/pazienza-gelli.html

    http://www.cristianolovatelliravarinonews.com/articoli/gabanelli.html

  11. aron2201sperber Says:

    http://www.tagesspiegel.de/politik/international/Italien-Terror;art123,2880573

  12. lupo cattivo Says:

    Dem guten Herrn Bush und Co gelang gar nichts „unter grösster Geheimhaltung“ , es ist nur so, dass es nicht den den Kontrollmedien auftaucht, weil man diese beherrscht.

    Eigentlich sind alle Fakten längst aufgedeckt, nur ist dies dem Breiten Publikum unbekannt, weil dies sich nur an ARD&Bild&Co orientiert.

    und auch die Brigate rosse waren ein CIA-Gladio-Akt , die Verbindung zum Faschismus ist nur scheinbar abwegig. Tatsächlich sind Rothschild und seine zionistischen Brüder auf dem Weg, das für sie perfekte faschistische System zu errichten.
    http://lupocattivoblog.wordpress.com/2010/03/17/zionism-and-nazism-is-there-a-difference-that-makes-a-difference/

  13. Tourist oder Terrorist? « Aron Sperber's Weblog Says:

    […] in Bologna gewußt hatte, blieb Thomas Kram, der ein Experte für Zeitzünder war, von den italienischen Behörden völlig […]

  14. “Hexenjagden” « Aron Sperber's Weblog Says:

    […] öffentliche Meinung war dank Dominanz der kritisch-linken Medien davon überzeugt, dass der Anschlag von Bologna im Rahmen der “Strategie der Spannung” im Auftrag des CIA von der P2 Loge ausgeführt […]

  15. Verharmlosungen und Verschwörungstheorien in “unserem ORF” « Aron Sperber's Weblog Says:

    […] nur noch eine entsprechende Polit-Justiz, und der Geschichte der “Strategie der Spannung” kann bald ein neues […]

  16. Gibt es eine „P3-Loge“? « Aron Sperber's Weblog Says:

    […] das Legen von „falschen Fährten“, mit denen er angeblich die Urherberschaft für den Anschlag von Bologna verschleiern […]

  17. Bruder Muammar « Nachrichtenbrief Says:

    […] Und das nicht nur wegen Lockerbie 1988, sondern auch wegen des Ustica-Blutbades von 1980 und dem Anschlag von Bologna ebenfalls 1980. Aus Opportunitätsgründen (Erdöl, Angst vor einem Krieg) wurden die beiden […]

  18. In stillem Angedenken an Muammar al-Gaddafi | Nachrichtenbrief Says:

    […] Und das nicht nur wegen Lockerbie 1988, sondern auch wegen des Ustica-Blutbades von 1980 und dem Anschlag von Bologna ebenfalls 1980. Aus Opportunitätsgründen (Erdöl, Angst vor einem Krieg) wurden die beiden […]

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