„Der Engel mit den Eisaugen“

Wenn man eine ermordete, vergewaltigte Frau auffindet, ist es wohl das Naheliegende von einem Mord durch den Vergewaltiger auszugehen.

Außer es finden sich Indizien, die für etwas völlig Außergewöhnliches – wie einen von mehreren Tätern ausgeführten Ritualmord – sprechen.

Die italienische Justiz zäumte wie alle Verschwörungstheoretiker das Pferd von hinten auf.

Sie verfolgte gleich die ungewöhnlichste Variante, was sie dazu brachte, alle nicht passenden Indizien zu Manipulationen der Täterin, eines übermächtigen „Engels mit eiskalten Augen“ umzudeuten, die es mit inquisitorischen Methoden zu überführen galt.

Wer es mit einem bösen, manipulativen Engel zu tun hat, dem steht es natürlich auch frei, selbst kräftig zu manipulieren:

http://www.guardian.co.uk/world/2011/oct/04/knox-acquittal-only-possible-verdict

Die im Verhör des angeblichen Mittäters zustande gekommene Aussage, die Täterin habe sich womöglich, während er schlief zum Tatort geschlichen, zeugt von einer extrem suggestiven Befragungstechnik.

Als sich keine Spuren der Täterin an der Leiche fanden, musste sie nach Ansicht des Richters die Spuren entfernt haben, auch wenn es dafür keine wissenschaftlich fundierten Beweise gab.

Vom Vergewaltiger fanden sich hingegen jede Menge Spuren an der Leiche.

Seine Erklärung, er habe mit dem Opfer einvernehmlichen Sex gehabt, sich jedoch während der Tat, die angeblich von wem anderen ausgeführt worden sei, am Klo aufgehalten, kann eigentlich kein vernünftiger Mensch ernst nehmen.

An der Ritualmordtheorie ist nichts logisch, außer man manipuliert und verdreht sich alles so zurecht, wie man es gerade braucht:

Alle Anträge, die Untersuchungshaft in Hausarrest umzuwandeln, wurden abgelehnt. Für den Untersuchungsrichter Paolo Micheli besteht kein Zweifel, dass Knox, Sollecito und Guede gemeinsam am Tatort waren, vermutlich um Meredith Kercher zu einem Sexspiel zu zwingen. Die Männer hätten sie festgehalten, Amanda Knox habe die Klinge angesetzt. Darum geht es jetzt im zweiten Prozess.

Nach der Tat hätten sie versucht, den Mord als Einbruch darzustellen, die Wohnung gereinigt und die Scheibe eingeworfen. Als Beweis genügten die gefundenen Spuren, „Logik und gesunder Menschenverstand“, schreibt der Richter. Wegen der amerikanischen Staatsbürgerschaft von Knox bestehe Fluchtgefahr. Vor allem aber: Amanda Knox sei „bereit, nochmals zu töten“. So steht es in der 17-seitigen Ablehnungsbegründung des Richters.

Auch ich bin auf diese konstruierte „Logik“ hereingefallen, als ich den Artikel im Spiegel las.

Obwohl italienische Verschwörungstheorien eigentlich mein Spezialgebiet sind, und der Gerichtsfall bei genauerer Betrachtung alle Merkmale einer klassischen Verschwörungstheorie aufweist, habe ich mich von der Geschichte über den „Engel mit den Eisaugen“ blenden lassen.

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13 Antworten to “„Der Engel mit den Eisaugen“”

  1. besucher Says:

    Mann stelle sich vor jemand hätte: „der grobschlächtige Schwarze mit den dunklen Killeraugen“ geschrieben.
    Ein Shit-Hurricane wäre um den Erdball gebraust.

    • aron2201sperber Says:

      wäre das ganze ein Film, wäre es wohl völlig klar, wer der Täter wäre.

      der faszinierende böse weiße Engel, der lügt, betrügt und manipuliert, um einem armen Schwarzen die Schuld in die Schuhe zu schieben

      dabei steckt darin auch eine Form von Rassismus, da man diese Genialität nur Weißen zutraut, während die einfach gestrickten Schwarzen immer nur die Opfer sind.

      • besucher Says:

        Der Prozess des zu 99% wahrscheinlichen Täters, Rudy Guédé aus der Elfenbeinküste soll wohl auch wieder aufgerollt werden. Seine Anwälte wollen sich darum bemühen.

  2. aron2201sperber Says:

    Diese Vorgeschichte hatte der Ermittler im Fall Kercher:

    http://www.cbsnews.com/8301-504083_162-20003238-504083.html

    Mignini claimed Narducci was a member of a satanic sect that killed women for body parts to be used in black masses, and the wealthy Perugia doctor was the keeper of those body parts. Mignini claimed Narducci was killed to keep him quiet.

    Even though all the Monster’s victims were shot with the same gun, Mignini told a court that it wasn’t the work of a single serial killer. Rather, Mignini described an elaborate conspiracy of 20 people, including government officials and law enforcement officers, who made up a secret society behind the Monster killings.

    Mignini indicted the 20 people and charged them with the concealment of Narducci’s murder, and laid out a hard-to-follow plot that included body doubles and featured Narducci’s body being swapped – not once, but twice!

    If all of this sounds hard to believe, it is. Tuesday, in a preliminary hearing, Perugia Judge Paolo Micheli threw out the case against the 20. The judge found there was no solid evidence to back up Mignini’s claim that Narducci was murdered, let alone the victim of a satanic sect

  3. problemeprobleme Says:

    Danke für diesen Artikel. Jetzt fühle ich mich richtig informiert. Manchmal glaube ich der Spiegel schreibt bewusst so kompliziert, damit niemand durchblickt.

    • aron2201sperber Says:

      Danke für das Lob!

      dass die Geschichte einer bösen Schneekönigin und ihren hörigen Dienern spannender ist als ein von einem mehrfach vorbestraften Gewalttäter ausgeübtes ordinäres Verbrechen kann man nachvollziehen.

      deswegen hält man sich lieber an die italienischen Fabeln als an die wesentlich seriöseren Berichte von englischen und amerikanischen Medien.

      das Niveau, das man der Bild ständig vorhält, hat man damit allerdings längst selbst erreicht

  4. Im Zweifel für die Verschwörungstheorie | Aron Sperber Says:

    […] meinen Lehrern Raymond Aron und Manès Sperber gewidmet « “Der Engel mit den eiskalten Augen” […]

  5. Plädoyer für eine unoriginelle Justiz | Aron Sperber Says:

    […] Italien gibt es unzählige Beispiele für jene Art von Justiz, wie sie sich jedoch gerade ein gelernter Jurist wie Andreas […]

  6. Häme für Amanda, Tränendrüse für Murat | Aron Sperber Says:

    […] hielt die Staatsanwaltschaft an ihrer Theorie fest, dass der Mord das Werk eines weißen “Engel mit Eisaugen” gewesen sein musste, die den “armen Schwarzen” zur Vergewaltigung und ihren […]

  7. Hexenprozess geht ohne Hexe in weitere Runde | Aron Sperber Says:

    […] hielt die Staatsanwaltschaft an ihrer Theorie fest, dass der Mord das Werk eines weißen “Engels mit Eisaugen” gewesen sein musste: Amanda Knox habe den “armen Schwarzen” zur Vergewaltigung und […]

  8. Im Zweifel schuldig | Aron Sperber Says:

    […] kennt, hätte man eigentlich damit rechnen müssen, dass sich das Gericht im Zweifelsfall für die Verschwörungstheorie entscheiden […]

  9. Faszinierende Theorien | Aron Sperber Says:

    […] man einer faszinierenden Theorie verfallen ist, neigt man leider dazu, sämtliche Fakten der eigenen Ansicht […]

  10. Die verlorene Ehre der Uwes | Aron Sperber Says:

    […] Die deutsche Berichterstattung erreicht schön langsam das italienische Foxy Knoxy-Niveau. […]

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