Lobende Worte fand Osama Bin Laden in seiner Videobotschaft vom September 2007 für den „bedeutendsten lebenden Intellektuellen“ Noam Chomsky.
Osama Bin Laden ist Anhänger eines orthodoxen Islamismus, der das Kalifat aus dem 7. Jahrhundert möglichst detailgetreu umsetzen will.
Was gefällt dem Vertreter der wahrscheinlich konservativsten Ideologie der Welt am progressiven Denker Chomsky?
Noam Chomsky sieht sich selbst als Anarchist.
Der Anarchismus ist die einzige Ideologie, die nicht die Errichtung einer bestimmten Staatsform zum Ziel hat, sondern den Staat grundsätzlich ablehnt.
Auf Grund der Natur des Menschen ist eine gewollte Anarchie nicht durchsetzbar.
Schon Thomas Hobbes hatte festgestellt, dass im Naturzustand „der Mensch dem Mensch ein Wolf ist“.
Anarchie hat es in der Geschichte der Menschheit nur dann gegeben, wenn Machtstrukturen zusammengebrochen sind.
Sobald dies geschah, etablierten sich sofort neue Kräfte. Auch bei Rousseaus edlen Wilden herrschte keine Anarchie: vorzivilisatorische Stämme waren äußerst hierarchisch gegliedert und reglementiert.
Die Utopie eines friedfertigen, bewußt gewollten Anarchismus wäre nur mit einem völlig neuen Menschentyp umsetzbar.
Was macht die Anarchie als gesellschaftliche Utopie trotzdem so attraktiv?
Durch ihre Nichtdurchsetzbarkeit musste sich die Anarchie nie an der Realität messen.
Die Auswirkungen des realen Sozialismus, Faschismus, Nationalsozialismus sowie des Islamismus können empirisch beobachtet werden.
Der Kommunismus verlor seine Attraktivität bei Intellektuellen weniger durch die Grausamkeiten, die sich bei seiner Umsetzung ereigneten – nirgendwo wurden mehr Kommunisten umgebracht als in der UdSSR oder in China – sondern durch seine langweilige Ähnlichkeit mit althergebrachten Herrschaftssystemen.
Vorbild politisch bewusster Menschen ist nicht Erich Honecker, obwohl die DDR kein so schlecht funktionierender Staat war, und sich die Menschenrechtsverletzungen bereits in Grenzen hielten, sondern der ewige Revolutionär Che Guevara.
Anarchismus ist zwar als Gesellschaftsform nicht praktikabel. Antiimperialismus- und Antiglobalisierungsbewegungen haben jedoch viel von der anarchistischen Ideologie übernommen.
Der Vorteil gegenüber anderen Ideologien ist seine Unbeflecktheit.
In der Kritik an der freien Marktwirtschaft stimmt man im Wesentlichen mit den anderen Ideologien überein.
Geld existiert zwar in allen Staatsformen. Je freier die Gesellschaft ist, desto freier kann sich auch der Kapitalismus entfalten. Dies fördert Ungleichheit.
Übersehen wird dabei, dass auch in allen anderen Gesellschaftsformen die Ungleichheit ein starkes Element ist. So dürfen in islamischen Gesellschaften Männer bis zu 4 Frauen heiraten, was nicht nur im Hinblick auf die Stellung der Frau, sondern auch im Verhältnis der Männer untereinander auf eine enorme Ungleichheit hindeutet.
Während Chomsky & Co. von der eigenen Gesellschaft das äußerste Maß an Individualismus einfordern, stört es sie nicht, wenn andere Gesellschaften kollektiviert werden. Den Individualismus, den man innerhalb der eigenen Gesellschaft genießt, will man anderen Gesellschaften im Verhältnis zur eigenen Gesellschaft zugestehen.
So wünscht sich der typische Anti-Imperialist keine Diktatur:
Trotz aller Sympathie für die „Gegner des Westens“ würden nur die wenigsten in einer realsozialistischen Gesellschaft, einer nationalsozialistischen Volksgemeinschaft oder gar einem Gottesstaat leben wollen.
Anderen gesteht man dies jedoch gerne zu.
Eine lenkende Ordnungsmacht ist unerwünscht. Viel mehr Spaß macht eine „nicht globalisierte“ Welt mit politisch-ideologischem Lokalkolorit.
Auch Diktaturen oder erzreaktionäre Gottesstaaten werden als schützenswert empfunden, solange sie einen gewissen exotischen Charme ausstrahlen.
Schlagwörter: Noam Chomsky, Osama Bin Laden
Oktober 8, 2008 um 7:36 pm |
[…] oder Chomsky konsultieren Neben der üblichen Aufforderung, zum wahren Glauben zu finden, empfahl uns Osama Bin Laden in einer Videobotschaft den größten lebenden Intellektuellen Noam […]
November 7, 2008 um 10:46 pm |
[…] Chomsky und Bin Laden haben lediglich einen gemeinsamen Feind – Islamkritiker sind dagegen Freunde der sekulären Demokratie. […]
November 12, 2008 um 5:55 pm |
[…] intellektuelle Europäer oder eine völlig abgehobene jüdisch-amerikanische bzw. israelische “Geisteselite” leisten können – gewöhnliche Israelis können von solch einem Luxus nur […]
April 7, 2009 um 8:08 pm |
[…] CDU verharmlost, obwohl gerade die staatsfeindliche Haltung die entscheidende Gemeinsamkeit zwischen der islamistischen Ideologie und der linken Ideologie […]
April 11, 2009 um 10:39 pm |
[…] die “westlichen” Demokratien ablehnt, und sie mit den real existierenden Diktaturen gleichsetzt, lehnt damit eigentlich das gesamte Asylsystem ab, welches Partei gegen Staaten, die die […]
Mai 2, 2009 um 5:48 pm |
[…] ist das nicht genau derselbe Relativismus, der von altlinken Intellektuellen wie Noam Chomsky bis zum heutigen Tag praktiziert […]
Dezember 10, 2009 um 12:17 am |
[…] gestellt werden (meistens sind es ausgerechnet Anhänger totalitärer undemokratischer oder unrealistischer anarchistischer Ideologien, die jene Ansprüche am lautesten einfordern) – Grundrechte sollen bis zur […]
Dezember 12, 2009 um 12:40 pm |
ach so ein palaver. eine mangelhafte analyse der tatsaechlichen verhaeltnise
„Anarchismus ist zwar als Gesellschaftsform nicht praktikabel“
naja ..
probieren geht ueber studieren. wer nichts wagt der nichts gewinnt
außerirdisches leben ist sehr wahrscheinlich.
anarchisten koennen sich sehr wohl organisieren.
organisation ist die grundlage jeglicher geselschaftsformen.
also was bitte ist daran nicht praktikabel?
selbst ist der mensch
Dezember 24, 2009 um 12:45 am |
[…] und freie Meinungsäußerung in keinster Weise in Frage steht, können die üblichen Relativisten einfach nicht […]
Januar 10, 2010 um 5:58 pm |
[…] „westlichen Che Guevaras“ wissen zwar selten, wofür sie sind, sie wissen aber immer wogegen […]
Januar 29, 2010 um 10:31 pm |
[…] der Westen den Empfehlungen des “jüdischen Gelehrten Noam Chomsky” folgen – und endlich politischen und […]
März 9, 2010 um 11:28 pm |
Bin Laden ist Ende 2001 in die ewigen Jagdgründe gegangen!
Der war Nierenkrank und lief mit seinem transportablen Dialysegerät in Bora-Bora und Umgebung rum bis halt fertig war.
Von wegen OBL will die Zeit „der Kalifate aus dem 7 Jahrhundert“ wieder haben. Um 1000 Jahre verrechnet.
Wenn der OBL was wollte, dann das was Abdul Wahab mit Reform des Islam meinte und auf „seiner“ Halbinsel auch hingekriegt hat. Und nur dort!
Es gab aber dann 200 Jahre später auch noch Sayyid Ahmad und zur selben Zeit Sayyid Dschamal ad-Din al-Afghani, die haben auch noch was zu meinen gehabt.
Na ja, der neuste Gag mit OBL is ja der hier:
http://english.aljazeera.net/news/middleeast/2010/01/20101277383676587.html
(für alle die noch an den Osterhasen glauben:) [wollen]
by
April 5, 2010 um 10:14 am |
[…] und respektlose Umgang mit der Meinungsfreiheit ist typisch für einen Mann, der vor lauter Progressivität den Unterschied zwischen Demokratien und Diktaturen nicht mehr erkennen […]
April 27, 2010 um 6:01 pm |
[…] ist den Juden Israel auch so wichtig – es sei denn es handelt sich um die üblichen linken Vollidioten, die immer noch glauben, die Welt stünde ohnehin kurz vor ihrer Umwandlung in ein postnationales, […]
Juni 21, 2010 um 4:36 pm |
Ich bin über den „Erdogan“ Beitrag hierauf gestoßen, und glaube, dass wenn auch die Schlussfolgerung „Sein progressiver Relativismus macht Noam Chomsky für die reaktionäre Bewegung Osama Bin Ladens so nützlich.“, relativ treffend ist. Allerdings müsste gefragt werden kommt der progressive Relativismus originär aus dem Anarchismus, oder ist er nicht doch eher Folge einer Isoliertheit des Selben, was sogenannte Anarchisten längst auch aktiv in Richtung einer zumindest geistigen Bündnispolitik mit regressiven Ideologien treibt. Empfiehlt nur Bin Laden Chomsky, oder auch Chomsky Bin Laden (so wie Buttler der Hamas und die Hizbollah)? Kann man dann noch von „Relativismus“ reden? Ein Aufschlussreicher Text von Tjark Kunstreich zu Michel Foucaults Interesse an der „Islamischen Revolution“ war einmal hier http://freeirannow.wordpress.com/2009/07/02/foucault-im-iran/
verlinkt, ist aber leider nichtmehr zugänglich.
Des weiteren: „Nach Thomas Hobbes ist der Mensch dem Mensch ein Wolf. Auf Grund der Natur des Menschen ist eine gewollte Anarchie nicht durchsetzbar“.
Sich auf Hobbes zu berufen, um eine Antropologische Konstante einzuführen, die unbewiesen dann spätere Argumente stützt ist mindestens Ungeschickt. Hobbes Beobachtung des Mensch sei dem Mensch ein Wolf war keine biologische und keine Antropologische (dazu war Hobbes gar nicht qualifiziert), sondern eine aus der bestehenden gesellschaft abgeleitete. Wie Hobbes zu seinem Ergebnis kommt, lässt sich nur so beschreiben: „Da ist ein Staat, und da sind Individuen, die konkurieren. Ist der Staat in der Krise, geht die Konkurenz auf den Tod des je anderen (bzw. strikt auf das eigne Überleben). Ergo: Wenn Staat weg Mensch: Mensch wie Wolf : Wolf. –> Gesellschaftsvertrag entstand, um eben das zu verhindern“ (Ja, ich vereinfache).
Weder berücksichtigt aber Hobbes, dass es nicht-staatliche Organisationsformen (über deren „Progressivität“ man durchaus streiten kann) gab und gibt, und das sogar innerhalb etwa des Kriselnden Staates, in denen die Wolfsregel nicht zu gelten scheint, Bsp: Familie. Noch geht Hobbes je darauf ein, was, wenn Staat = Organisation v. Menschen unter Souverän qua Vertrag dann der Staat dem Staate ist. Die Antwort gibt Schmidt: Ein großer Wolf…
Juni 21, 2010 um 8:25 pm |
schade, dass man den Link im Link nicht weiterlesen kann – hätte mich sehr interessiert.
werde Liza vielleicht anschreiben, ob man das wo nachlesen kann…
ein Beitrag, den ich über den Profil-Autor Georg Hoffmann-Ostenhof und sein Verhältnis zur iranischen Revolution geschrieben habe, beschäftigt sich mit der gleichen Problematik:
Juni 22, 2010 um 11:34 am |
Der Beitrag ist wohl auch mal in Konkret 8/2004 erschienen, hab ich aber auch keinen Zugang zu. Ich habe auch keine Ahnung, warum NatureMort so schnell wieder offline gegangen ist…
Zentral für Foucault waren aber sicher weniger solche Begriffe wie „Freiheit“, wie es in dem verlinkten Ostehof-Artikel, so fehlinterprätiert dieser Begriff da auch vorkommen mag, und noch nichtmal die affirmation einer völkischen Einheit, die man sich in Europa zu wünschen hütet. Was den Dekonstruktivisten an der Islamischen Revolution faszinierte, stand in gewisser Konvergenz mit seinen Theoretischen Überlegungen, die auf die „Auflösung des Subjekts“, auf das „ganz Andere“ zielen, Ziele die Foucaul, da er sich nicht als Revolutionär im klassischen Sinne sieht (etwa, indem er sagt: das Subjekt ist bürgerlich, ergo löst der Kommunismus das bürgerliche Subjekt auf), nur vor sich hin raunen kann, ohne je zu sagen, was sie eigentlich bedeuten. In die scheinbare „Spontanitaet“ der islamischen Revolution, in die von Foucault anfangs so wahrgenommene Massenerhebung ohne Führung, projiziert er dann (so, wenn ich mich richtig erinnere, Kunstreich), diese nicht-identitäre Auflösung des Subjektes hinein. Dass solcherart „Antipolitik“ (Foucault) nur in konzentrierten gewalttätigen Aktionen ablaufen kann, muss hingenommen werden, denn unter den bestehenden Umständen, die ja bei Foucault als allumfassendes Netz von im Spätwerk immer weniger definierten Mächten wahrgenommen werden, kann man das Subjekt eben nicht wegdiskutieren oder performativ verschwinden lassen…
Später (das muss der Fairniss halber gesagt werden), kritisierte Foucault die Islamische Revolution, allerdings auch unter dem Gesichtspunkt, dass sie eben nun doch „politisch“ sei.
Zu Foucaults Verhältnis zur kritischen Theorie und der Aufklärung hatte ich mal einen launischen Kommentar verfasst, der allerdings ohne den Kunstreich Text und ein dort verlinktes Interview weniger erhellend sein wird 😉
http://sonntagsgesellschaft.wordpress.com/2009/08/12/michels-lustige-streiche/
Juni 27, 2010 um 12:44 am |
[…] „Hobbes Beobachtung des Mensch sei dem Mensch ein Wolf war keine biologisch oder anthropologis… […]
Oktober 19, 2010 um 1:33 pm |
[…] und respektlose Umgang mit der Meinungsfreiheit ist typisch für einen Mann, der vor lauter Progressivität den Unterschied zwischen Demokratien und Diktaturen nicht mehr erkennen […]
September 2, 2011 um 12:27 pm |
[…] CDU verharmlost, obwohl gerade die staatsfeindliche Haltung die entscheidende Gemeinsamkeit zwischen der islamistischen Ideologie und der linken Ideologie darstellt. Like this:LikeSei der […]
Dezember 21, 2011 um 9:19 pm |
[…] https://aron2201sperber.wordpress.com/2008/09/25/warum-empfiehlt-uns-bin-laden-chomsky/ […]
April 27, 2012 um 10:09 pm |
[…] jeder geglückten linken Revolution, setzt sich jedesmal der Rechteste […]