
Während über den Nahostkonflikt fast täglich berichtet wird, fand der räumlich nähere und zumindest in den letzten Jahren dramatischere Konflikt kaum Eingang in das europäische Bewusstsein.
Umar Israilovs Ermordung zeigt die Brisanz auf, welche der Konflikt nach wie vor hat.
Im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion und des dadurch entstandenen Machtvakuums strebten auch die Tschetschenen nach Unabhängigkeit. Als es von 1994 bis 1996 zum Krieg kam, sickerte eine große Zahl von Jihadisten in das Land ein, die auf Seiten der jungen islamischen Nation kämpfen wollten. Das Geld und die Ideologie stammten aus Saudi Arabien, die Kampferfahrung aus dem Afghanistan- und dem Bosnienkrieg.
Mit jener Hilfe gelang es den Tschetschenen eine De Facto-Unabhängigkeit zu erringen.
Doch zu einem sehr hohen Preis: Leider verabsäumten es die Tschetschenen, die Jihadisten wieder aus ihrem Land zu verabschieden.
So führte 1999 Schamil Bassaejews und Ibn al Chattabs Einmarsch in Dagestan zum zweiten Tschetschenienkrieg.
Putin diesen Anlass umgehend dazu, seinen russischen Landsleuten zu beweisen, dass er der ersehnte starke Mann sei.
Möglicherweise hatte Putin als damaliger FSB-Chef auch bei der Lieferung eines Kriegsgrunds auch kräftig nachgeholfen:
http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/456848.stm
Viele Tschetschenen wurden Opfer von Entführungen, Vergewaltigungen und Folter.
Je länger die Kämpfe andauerten, desto schlimmer wurde die Vereinnahmung der Rebellen durch islamistische Jihadisten („wahabitische Terroristen“ gemäß der russischen Diktion).
Die Trendwende gelang Putin durch die „Tschetschenisierung“ des Konflikts:
Er verbündete sich mit dem mächtigen Kadyrov-Clan, der offensichtlich die Schnauze von den ausländischen Jihadisten voll hatte.
Akhmad Kadyrov bekämpfte die Rebellen und deren Angehörige nicht nur genauso grausam, sondern auch wesentlich effizienter, da er als Tschetschene und ehemaliger Kämpfer Land und Leute wesentlich besser kannte.
Als er 2004 ermordet wurde, übernahm sein Sohn Ramzan das Kommando. Seine Brutalität scheint die seines Vaters noch deutlich zu übersteigen. Mit seinen unmenschlichen Methoden gelang es Kadyrov im Lauf der letzten Jahre das Land zu befrieden.
Die Verfolgung potenzieller Gegner steht jedoch nach wie vor auf der Tagesordnung.
Im Gegensatz zur deutschen Asylpraxis wurde dem Großteil jener Flüchtlinge in Österreich Asyl zuerkannt. Schuld an der deutschen Praxis hatte zu einem nicht unerheblichen Teil Schröders Putin-Anbiederungspolitik.
Die österreichischen Anerkennungen waren grundsätzlich richtig. Die Fluchtgründe der Tschetschenen entsprechen den Kriterien der Asylanerkennung nach der Genfer Flüchtlingkonvention.
Im nunmehr vorliegenden Fall hat es die Behörde offenbar verabsäumt, Umar Israilov den notwendigen Personenschutz zu gewähren.
Möglicherweise hat aber auch der bedrohte Asylwerber der Behörde die notwendigen Informationen, um die richtigen Schritte setzen zu können, vorenthalten.
Eine gegen Kadyrov eingebrachte Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kann wohl kaum der Grund für dessen Ermordung gewesen sein.
EGMR Beschwerden spielen in der öffentlichen Meinung praktisch keine Rolle.
Sorgt sich Kadyrov um sein Image, ist ein Auftragsmord in einem EU Land wohl das Kontraproduktivste, was er machen konnte. Außerdem wurde das Verfahren bereits 2006 eingestellt.
Viel wahrscheinlicher war wohl eine offene Rechnung mit dem Kadyrov Clan.
Im Moment kann man darüber nur spekulieren:
Eventuell verdächtigte Kadyrov den ehemaligen Leibwächter seines Vaters, an der Ermordung des Vaters beteiligt gewesen zu sein.